Biografie

1940 in Hilden geboren

1961 – 1963 Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg  

1964 – 1968 Studium an der Akademie der Bildenden Künste, Wien bei Fritz Wotruba (Meisterschüler)

1969 – 1977 Tätigkeit als Kunsterzieher an weiterführenden Schulen in Hamburg und Köln

1971 Gründung einer Zeitschrift und des Ausstellungsforums in Köln

1980 – 1981 Stipendium der Stadt Köln, P.S.1, New York

1982 Stipendium des Landes NRW, Cité des Arts, Paris

1982 – 1983 Gastprofessur an der Kunstakademie Düsseldorf

1987 Gastprofessur an der Ecole des Beaux-Arts, Nimes

1989 Preis des Deutschen Künstlerbundes

1993 – 1994 Gastdozent an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig

1996 – 1998 Gastdozent an der Kunstakademie Münster

2001 gestorben in Köln

Heinz Breloh – Die Konzeption des Bildhauers als Sechsender

von Malte Guttek, künstlerischer Leiter Nachlass Heinz Breloh 

„Es ergab sich wie von alleine, dass die Plastiken aus meiner Bewegung heraus entstehen müssen. […] Zunächst blieben die Bewegungen simpel und elementar: Greifen und etwas sehr einfaches machen.“[1] Mit diesen Worten beschreibt der Kölner Bildhauer Heinz Breloh die Ursprünge seines bildhauerischen, prozessualen Arbeitens. Zugleich benennt er damit eines seiner zentralen künstlerischen Themen: die Handlung. Schicht um Schicht trägt der Künstler für seine Plastiken Gips auf, je eine Handvoll, bis sich eine Grundform erahnen lässt. Er tritt zurück und schaut, befindet für gut oder schlecht. Er trägt neuen Gips auf oder schlägt ihn an anderen Stellen mit einem Beil ab. Er vergleicht Partien seines Körpers mit der entstehenden Plastik, nimmt sich selbst als Maß. Bald lehnt der Bildhauer seine Arbeit nicht mehr nur an sich selbst an; er beginnt, seinen eigenen Körper in den Gips zu drücken, schleift ihn durch das Material bis Form und Oberfläche der Plastik zur endgültigen Form gefunden haben…

Dieser ungewöhnliche Arbeitsprozess bedeutet einen Wendepunkt im Brelohs. Vorausgegangen waren nahezu 25 Jahre künstlerischer Entwicklung. Nach einem klassischen Studium der Bildhauerei bei Gustav Seitz an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Erarbeitung geometrischer Abstraktionen bei Fritz Wotruba an der Akademie der bildenden Künste Wien wendet sich Breloh in den 1970er Jahren den Medien Film und Fotografie zu. Mit ihnen erfasst er räumliche Situationen und menschliche Gestalten, erprobt ihre Wiedergabe in plastischer Form. Nach einem einjährigen Aufenthalt am PS1 in New York kommt Breloh zur Übertragung dieser konzeptuellen Fragestellungen in ein anderes Medium: Er formt massige Gipsvolumen, die er Lebensgröße nennt. „Du gehst um die zu gestaltende Masse herum und das ist deine Plastik“[1] sagt Breloh, dessen eigener Körper Werkzeug in der Entstehung der Lebensgröße ist. Damit wird der Künstlerkörper zum Parameter der Plastik: Mit seinen Bewegungen definiert er ihre Erscheinung, seine Ausdehnung im Raum bestimmt ihre Grenzen, die Plastik bleibt als Negativraum einer Choreografie zurück. Ihre Ausformung und die horizontalen Schleifspuren auf ihrer Oberfläche bezeugen die Einschreibung des Künstlerkörpers in den Gips. Die im Material an verschiedenen Stellen sichtbaren Profile Brelohs machen die Plastik zur Spur seiner Anwesenheit im Entstehungsprozess. Sie bezeugen eine Identität zwischen künstlerischer Handlung und Werk, womit das tätige Bildhauerindividuum Heinz Breloh gleichsam Thema der Plastik wird. Der Künstler selbst sagt dazu: „Die Arbeit ist getan, wenn zwischen Körper und Plastik keine Distanz mehr besteht.“[2]

Dem Drang nach Unmittelbarkeit zum Material setzt Breloh in den folgenden Jahren die räumliche Entfernung entgegen. Mit der aus Gips geformten Gruppe der Lebensgröße von ferne bringt der Künstler Distanz zwischen sich und seine Arbeit und steigert sie abermals in den folgenden Jahren mit der Werkgruppe Lebensgröße am Horizont. Mit ihnen befragt er die Form der Lebensgröße hinsichtlich ihrer Assoziationskraft und räumlich-perspektivischen Wirkung, lässt die Betrachter*innen sein körperliches Verhältnis zum Volumen der Plastiken nachspüren. Breloh setzt nun die Hände zur Formung ein, womit er den exponierten Entstehungsprozess der Lebensgrößen unterlässt. Dennoch begreift er seine Plastik als Ausdruck eines gesamtkörperlichen Ereignisses: „Der Bildhauer läßt den imaginären »kleinen Bildhauer«, der die Fesseln der Mechanik und der Gravitation sprengt, die Skulptur verursachen. Die Hände (der Ausschnitt steht für das Ganze) übernehmen die Impulse des ganzen Körpers.“[3] Somit bleibt sein eigner Körper Ausgangspunkt und Referenz, d.h. Medium seiner Arbeit. Dieses Verständnis und die damit gewonnene Freiheit in der Formung eröffnen Breloh den Weg zu neuen Plastiken. Ein Schwerpunkt bleibt in diesem Zusammenhang die Reflexion seiner Arbeit an der Lebensgröße. Die in ihrer Formung erlebte Distanzlosigkeit zum Material wird für Breloh zum existenziellen Erlebnis von Wahrnehmung und Ausdruck. Die bei dem prozessualen Arbeiten gewonnenen Erfahrungen – körperliche wie intellektuelle, sinnliche wie geistige – lassen Breloh 1988 zum Konzept des Bildhauers als Sechsender finden. Er identifiziert sich als Künstler, der mit Kopf und Geschlecht, mit Händen und Füßen spürt, fühlt, denkt und formt. Sein durch intensive Selbstwahrnehmung gewonnenes Menschenbild drückt sich in geschwungenen Formen aus. Mit ihnen formuliert Breloh eine Bewegungsvorstellung der sechs Körperenden: Sie sind als deren Verlaufslinien zu begreifen, vergleichbar der Notation einer Choreographie, die eine Vorstellung vom dynamischen Verlauf der Formung visualisieren. Breloh entwirft die Plastik damit nicht als abstraktes Abbild der einzelnen Glieder, sondern lässt ihr Durchgreifen des Raumes als Spur erscheinen. Die Idee des Bildhauers als Sechsender, die Definition der sechs Körperenden als zentrale Organe der Formung und Wahrnehmung, wird in der Plastik Brelohs konzeptueller Bestandteil bleiben und zum Kern seiner bildhauerischen Theorie. Dabei unterlässt Breloh jeglichen mimetischen Skulpturenansatz, vielmehr ist ihm das Modell des Bildhauers als Sechsender theoretische Grundlage für die nach 1990 in schneller Folge entstehenden Werkgruppen. Er findet bei aller Formenvielfalt zu einer konzeptuellen Formensprache. Mit ihr reflektiert er die Bedingungen seiner eigenen, bildhauerischen Handlung: Sie findet Ausdruck in Serien wie drin und dran oder Modell Lebensgröße. In ihnen setzt er sich mit der Dualität von positiven und negativen Volumen, von Druck und Gegendruck, von körperlicher An- und Abwesenheit auseinander. Damit ist diesen Werken das Thema des arbeitenden Bildhauers immanent.

Bald erweitert Breloh diese Selbstreflektion um die Auseinandersetzung mit anderen Künstler*innen und deren Werken in mehreren Keramikserien, darunter Die badenden Bildhauer (Kolumba, Köln) und Rendezvous der Bildhauer II (Lehmbruck-Museum, Duisburg). Er verleiht der körperlichen Präsenz der Künstler*innen, den von ihnen genutzten Materialien und ihrer spezifischen Arbeitsweise während des Werkprozesses Ausdruck. Auch hier zielt er nicht auf eine abbildende, figürliche Darstellung ab. Vielmehr formuliert er in Anlehnung an das Konzept des Bildhauers als Sechsender Bewegungs- und Energiepotenziale, sowohl des Künstlerkörpers als auch seines Werkes. Dabei ergeben Reflexion der Werke und die Imagination ihrer Entstehung komplexe Formen, deren Verständnis intensive Betrachtung erfordert: Bewegte Formen oder amorphe Massen umgreifen einander. Die thematische Auswahl ist weit gezogen: Sie reicht von Ignaz Günther bis Bruce Nauman, von Joseph Haydn bis Gertrude Stein. Treffend kommentiert Breloh eine Papierarbeit mit „ich zwinge G[eorg] Kolbe eine Skulptur für mich zu tanzen.“[4] Die damit beschriebene Reflexion von Kunstwerken und deren Aneignung lässt sich zurückverfolgen bis zu den frühen Gipsarbeiten Brelohs. Bereits 1982/83 nimmt er mit Die Kreisung nach Cimabue (Kolumba, Köln) Bezug auf das Kruzifix des Renaissancekünstlers in der Florentiner Kirche Santa Croce, aktiviert die in ihm angelegte Pose und Haltung für einen Bewegungsprozess, der direkt zum Werk Brelohs führt. Dieser Bezug auf das energetische Potenzial von Kunst und ihrer Entstehung radikalisiert Breloh, wenn er einfache Tätigkeiten und Bewegungen als Anlass nimmt und sie in seine Werke überträgt, wie etwa in den Plastiken Der Fahnenschwenker als Bildhauer oder Der Friseur als Bildhauer. Damit schreibt der Künstler jeglicher menschlichen Handlung ein skulpturales Potenzial zu, welches im Sinne der Lebensgröße eine imaginäre Plastik in den Raum schneidet. Oder anders: Für Breloh ist jeder Mensch ein Bildhauer als Sechsender.

Mit den Keramiken Die Alleinigen, seiner letzten Werkgruppe, gibt Breloh der Konzeption des Bildhauers als Sechsenders ab 1997 eine andere Erscheinung. Es entstehen abstrahierende Darstellungen von Männerkörpern, deren sechs Körperenden durch kräftige Verdickungen betont sind. Die Alleinigen winden sich in aufreizenden Posen oder verharren in verschlungenen Haltungen. Ihre Bewegtheit entspricht Brelohs Umgang mit dem Material. Mit seinen Händen formt er in die weiche Tonmasse, seine in das Material eindringenden Finger umgreifen die Plastiken. Dabei hinterlässt er Abdrücke an der Oberfläche, er perforiert die Masse – spürbar ist die Körperlichkeit des Tons, welcher wie kein anderes Material für sein Vorgehen geeignet ist. Diese Spuren lassen die Betrachter*innen den Entstehungsprozess der Plastiken nachvollziehen, sie gleichsam über die Schulter des formenden Heinz Brelohs schauen. Die Posen der Arbeiten gewinnen durch Glasuren eine satte Sinnlichkeit, die dem kraftvollen Umgang mit dem Ton entspricht. Sie sind Ausdruck des Licht- und Farbempfindens des Künstlers. An der Gruppe Die Alleinigen manifestiert sich Brelohs leidenschaftliche Beschäftigung mit dem Körper, sein libidinöses Verhältnis zu Material. Sie sind sowohl Zeugnis als auch Abbild des fühlenden und formenden Menschen.

Die inhaltlich-formalen Entwicklungen von Brelohs Arbeiten werden durch eine Konstante begleitet. Unabhängig davon, ob er das Material schichtet, drückt oder presst, gilt für alle seine Plastiken, wie Breloh es ausdrückt: „Die Verwirklichung der Skulptur vollzieht sich zwangsläufig in Druck und Gegendruck von Material und Körper.“[5] Damit ist eine Prämisse seines Werkes formuliert, welches sich nur in diesem Zusammenspiel entwickeln kann. Unabhängig davon, ob sein ganzer Körper oder seine Hände, die „kleinen Bildhauer“, formen, ist seine körperliche Anwesenheit im Werkprozess sichtbar, sind seine Handlungen deutlich formuliert. Dieses spezifische Verhältnis von Künstlerkörper und Material liegt in den Werkerfahrungen der 1980er Jahre begründet, in denen der ganze Körper des Künstlers seine Plastiken bestimmt, er Ausdruck und Wahrnehmung zugleich ist. Die spätere Reduktion der Formgebung auf die Hände setzt diese körperliche Dualität fort, die Hände sind Schnittstelle und Stellvertreter für seinen ganzen Leib. Wie sehr sich beide Werkprozesse für Breloh gleichen, sie für ihn ein existenzielles Erlebnis der Selbstwahrnehmung sind, wird an vielen Stellen seines Werkes sichtbar. Breloh selbst zitiert aus Novalis‘ Heinrich von Ofterdingen, um seiner körperlich-geistigen Wahrnehmung bei Berührung mit Material Ausdruck zu verleihen: „Ein unwiderstehliches Verlangen ergriff ihn, sich zu baden, er entkleidete sich und stieg in das Becken. Es dünkte ihm, als umflösse ihn eine Wolke des Abendrots; eine himmlische Empfindung überströmte sein Inneres; mit inniger Wollust strebten unzählbare Gedanken in ihm, sich zu vermischen; neue, nie gesehene Bilder entstanden, die auch ineinanderflossen und zu sichtbaren Wesen um ihn wurden, und jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an ihn. Die Flut schien eine Auflösung reizender Mädchen, die an dem Jünglinge sich augenblicklich verkörperten.“[6]

Malte Guttek

[1] Heinz Breloh in einem Interview mit Ralf Dank, in: Kölner Skizzen 2/86, S. 19

[2] Heinz Breloh 1993 in einem Konzeptpapier zur Lebensgröße Dresden, erhalten im Nachlass des Künstlers

[3] Heinz Breloh 1988 im Heft für Krimhild, reproduziert im Katalog der Ausstellung Körperspur (Kunstmuseum Bayreuth, 7. Mai bis 25. Juni 2008, u.a.)

[4] Heinz Breloh 1989 auf einer Papierarbeit, erhalten im Nachlass des Künstlers

[5] Heinz Breloh 1988 im Heft für Krimhild, reproduziert im Katalog der Ausstellung Körperspur (Kunstmuseum Bayreuth, 7. Mai bis 25. Juni 2008, u.a.)

[6] Novalis: Heinrich von Ofterdingen, zitiert nach: Heinz Breloh 1988 im Heft für Krimhild, reproduziert im Katalog der Ausstellung Körperspur (Kunstmuseum Bayreuth, 7. Mai bis 25. Juni 2008, u.a.)

Körperhandlungen wider die Apparatenwelt

von Manfred Schreckenburger, Künstlerischer Leiter der documenta 6 und 8. Textteile entnommen aus dem Ausstellungskatalog „Heinz Breloh. Skulptur als Körperspur“, 2008. … Die Skulpturen von Heinz Breloh beziehen am direktesten, greifbarsten Stellung gegen die digitale Abstraktion. Er erfindet die Plastik neu, indem er auf ihre Ursprünge zurückgeht und ihre Möglichkeit in Gegenwart und Aktualität erkundet. Er zieht, als Bestätigung, Ressourcen aus der Kunstgeschichte hinzu und verschmilzt sie mit der eigenen, neu begründeten Körperkunst. Er findet Brückenköpfe bei prähistorischer Keramik auf Malta, beim nonfinito Michelangelos, den Ton-Bozetti von Carpeaux, den lichtdurchfurchten Oberflächen von Rodin, der Phänomenologie der Distanz bei Giacometti und registriert zeitgenössische Affinitäten vom Wiener Aktionismus bis zu Vito Acconci. Er reiht seine Plastik gezielt an eine Vorgeschichte der intensiven Modellierung und der Berührungsspur. Er ist ein denkender, ja, intellektueller Bildhauer und ein sinnlicher, lustvoller, ja, obsessionierter Künstler zugleich.

Er weiß, was er will, und er will, was er gemacht hat. Das Spektrum der Interpretationen reicht weit. So erhebt sich die offenkundige Nähe zur Morphologie des Verdauungsproduktes nicht nur zum Hinweis auf die „Urform menschlicher Produktion“, sondern auch zur allzu unschuldigen Frage, wie Vitalität und Ästhetik sich derart splitten lassen. Ein anderer Autor erkennt im Arbeitsprozess „eine mögliche Form emanzipierter Libido“ und in den „Lebensgrößen“ eine Analogie zum Geschlechtsakt. Aber die Körperkontakte Brelohs mit seiner Plastik rufen auch Assoziationen an religiöse Bildwelten wie Kreuzigung, Grablegung und Veronika-Legende wach. „Die badenden Bildhauer“ fügen sich nicht ohne Grund perfekt ins neu eröffnete Kölner Diözesan-Museum Kolumba. Auch rein formal gesehen, sind die Deutungen fast allumfassend, „als solle Skulptur nicht als Begrenzung von Form und Gestalt, sondern ebenso als deren Auflösung angesehen werden“

Breloh tangierte … einen mythischen Archetyp des Plastischen, ja, eine Urform des Schöpferischen. Sie kommt kindlichen Aktivitäten ebenso nahe wie der ausgereiften, hoch reflektierten sculpture eines Medardo Rosso, die Fragen nach der Natur der Plastik durch sich selber beantwortet. Wenige Bildhauer arbeiten so authentisch im Einvernehmen mit den Determinanten von Material, Volumen, Raum- und Menschenbild. Wenige setzten sich gleichzeitig so weit vom akademischen Kanon und der kunstgeschichtlichen Überlieferung ab. Wenigen gelang es, das eigene Paradigma in die Breite einer derart reichen Produktion zu entfalten. Denn auch das ist wichtig: Wenige hielten mit so großer Ausschließlichkeit, Leidenschaft, Ekstase und Genauigkeit am menschlichen Körper als Maß aller Dinge fest. Beim reifen Breloh steckt die Plastik16 in keiner Krise ihrer Identität, denn er hat den Zugang des Bildhauers zur Darstellung des Menschen auf eigenwillige Weise neu erfunden und ausformuliert. Er bewahrt damit nicht nur das viel beschworene Menschenbild in der Skulptur: ein Menschenbild, das nichts, aber auch gar nichts, mit abendländischen Gemeinplätzen zu tun hat, sondern auf einem ganz nahen, sinnlichen Umgang mit dem Material beruht. Es enthält nicht nur ein Abbild, sondern eine Konzeption des Menschen: eine Konzeption, die den Menschen dichter an sich selbst und seinen psychophysischen Kern heranführt.

… Die Plastik von Breloh verkörpert eine greifbare Gegenkraft zur elektronischen Abstraktion. Der Knopfdruck wird durch den Abdruck ersetzt. Der Kontrast zur Welt der Apparate könnte nicht zwingender sein.

Zum Medium machen von Hans-Jürgen Hafner, Direktor des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf. Der Text erschien anlässlich der Ausstellung „Heinz Breloh – Die Anwesenheit des Bildhauers“ in der Galerie Ursula Walbröl Düsseldorf 14. Juni bis 21. Juli 2012. Ein sehr schönes, Heinz Breloh gewidmetes Leporello trägt den Titel „Die Gegenwart des Bildhauers“. Im Frühjahr 1991 im Rahmen von Ursula Walbröls damals erster Ausstellung mit Arbeiten des Künstlers, die seinerzeit noch in ihrer Hildener Galerie stattfand, erschienen, hat der Titel anders als die in der Publikation enthaltene kurze Einführung von Manfred Schneckenburger bis heute nichts von seiner Problematik eingebüßt. Hatte Schneckenburger in seinem Text Handlungen wider die Apparatenwelt! Brelohs Werk aufgrund seines „greifbar“ körperlich-plastischen Qualität gegen die technizistische Abstraktion der Gegenwartswelt in Stellung gebracht, weist der Titel auf eine ganz andere, weit grundsätzlichere Problematik. Problematisch im allerbersten Sinn, umreißt er sehr genau die Herausforderung, vor die uns das Werk des Künstlers damals wie heute stellt und weist gerade dadurch auf auch sein aktuelles Potenzial voraus.

Heinz Breloh (1940-2001) verstand sich zwar durch und durch als Bildhauer. Das Beharren des Künstlers auf einem spezifischen Medium, sein von außen betrachtet fast kapriziöses Zurückziehen aufs Handwerk des Bildhauerischen klingt allerdings merkwürdig ‚gewollt’ und geradezu mutwillig konservativ in einer Zeit, in der sich die Kunst traditioneller Genres und Sparten entledigt und „Postmedialität“ zu einem ihrer Hauptkennzeichen avanciert. Vor dem Hintergrund einer ebenso umfassenden wie irreversiblen Konzeptualisierung der Kunst kann solch eine, scheinbar, nur übers Handwerkliche begründete Positionierung wie die Brelohs kaum anders als anachronistisch wirken. Doch ist sein Beharren auf der Bildhauerei, seine Stilisierung zum Bildhauer unter doppelten Vorzeichen zu lesen. Wie seine bekanntesten Arbeiten, die in ihrer scheinbar unmittelbaren Körperlichkeit und drängenden Präsenz beinahe bedrohlich wirkenden „Lebensgrößen“ nahelegen und sogar zu bezeugen scheinen, nimmt es der Künstler dafür auf sich, in seinem Medium aufzugehen bzw. sich ihm im Zuge eines tänzerisch/theatral/rituell inszenierten Schöpfungsprozesses buchstäblich einzuverleiben. In diesem Sinne wäre die „Gegenwart des Bildhauers“ unübersehbar: seine skulpturalen Äußerungen wären die Spur, die ihr Macher im Zuge ihrer materiellen Herstellung und gestalterischen Ausformulierung hinterlässt und die er als Skulptur zeigen will. 

Mir scheint es allerdings wichtiger von dieser Form der „Handlung“ (Schneckenburger) weg, eine andere Richtung zu verfolgen und nochmals genauer nach der ‚Rolle’ zu fragen, die Bildhauer und Bildhauerei in gegenseitigem Bezug aufeinander spielen. Um die „Gegenwart des Bildhauers“ in der Skulptur geltend zu machen musste Breloh m. E. die Bildhauerei als Medium und als Thema sozusagen aus einer konzeptuellen Distanz erst in sein künstlerisches Projekt einbeziehen und bearbeiten. Er musste sie sich überhaupt erst als Grund und Gegenstand seiner künstlerischen Arbeit herstellen. Als Illustration dieses Anliegens und seine gleichzeitige skulpturale Manifestation lässt sich Brelohs Werkgruppe der „Bildhauer“ deuten, in der er alle erdenklichen Zustände des Bildhauerischen aus der Figur des Bildhauers heraus imaginiert und bildhauerisch in Plastiken übersetzt (vgl. dazu etwa die glasierte Terrakotta „Vater, Mutter, Kind als Bildhauer“, 1993). Von diesen Objekten her verstehe ich seinen bildhauerischen Ansatz vielmehr als synthetischen. Die Gegenwart des Bildhauers? Sie entsteht darüber, wie sich Breloh, der mit all seinen Extremitäten, mit Muskel und Sinn, Gefühl und Verstand agierende „Sechsender“, in seiner Bildhauerei gleichsam selber zum Medium macht, wie Bildhauerei damit ihrerseits zur künstlerischen Apparatur wird.

Zugegeben könnte es verführerisch sein, die teilweise exzessiv ausgestellte Körperlichkeit seiner Arbeiten aber auch das konkret Körperliche ihrer Herstellung als Identität zwischen Macher, Medium und Werk zu deuten. Tatsächlich ist aber Vorsicht vor jedem Versuch geboten, Brelohs bildhauerisches Werk aufgrund der extremen und explizit gemachten Gegenwart seines Machers zu essenzialisieren; etwa indem man dessen Unabtrennbarkeit von/Identität mit der bildhauerischen Arbeitsweise behauptet. Insofern mag es verführerisch sein, Brelohs Skulpturen und Objekte als Schöpfungen und authentische Spur ihres Machers gegen Formen entfremdeter Produktion zu halten, ihr scheinbar ‚Echtes’ gegen die Abstraktionen der Gegenwartswelt auszuspielen.

Dem Werk Heinz Breloh, dem unübersehbar ‚Gegenwärtigen’ seiner bildhauerischen Arbeiten wäre damit kaum Genüge getan. Weniger der Unmittelbarkeit als der künstlerisch konsequenten Auseinandersetzung mit dem Mittelbaren und Gemachten geschuldet, beruht die Qualität von Brelohs Arbeiten darauf, wie sie Aspekte des unmittelbar Präsenten und Theatralen innerhalb der Skulptur vereinen. Dazu mag passen, dass der Künstler nach einem, ausgesprochen „klassischen“ Studium der Bildhauerei (bei Gustav Seitz, 1961-1963 in Hamburg und Fritz Wotruba, 1964-1968 in Wien) sich in den späten 1960er Jahren experimentellen Arbeitsweisen zuwendet. Brelohs Arbeiten dieser Zeit öffnen sich den damals ‚neuen’ Medien, Fotografie und Video, und expandieren zudem in den Bereich der Performance und Happenings, sowie ins Installative. Die Fotografie fungiert dabei einerseits der Dokumentation, andererseits entwirft Breloh medienreflexive Stücke, die für die fotografische Abbildung inszeniert werden. 

In der beeindruckenden Intensität von Brelohs Arbeiten seine Bildhauerei als grandiose Syntheseleistung zu entdecken und hinter ihrem Gestus des Authentischen und Unmittelbaren, der selbst in den Bronzeabgüssen seiner in Ton hineingekneteten, aus der Modelliermasse herausgeriebenen und tanzend ausgeformten Skulpturen erhalten bleibt, eine in der Tat höchst spezifische Form von Medialität sozusagen am Beispiel der Skulptur zu rekonstruieren, hilft die Aktualität dieses künstlerischen Ansatzes zu erkennen. Heinz Breloh hat sein hochgradig konzeptuelles Verständnis von Bildhauerei immer auch theoretisch reflektiert. Eine Notiz im Notizheft „für Krimhild“ (1988) liest sich: „Choreographie ist die Geometrie, die in der Ausführung zu leben beginnt, in dem sie an Unbedingtheit und totalitärem Anspruch verliert. Rationelles und Organisches verbinden sich zu dem Abenteuer.“

Leben und Werk

Heinz Breloh wurde 1940 in Hilden geboren. Er war der Zweite in der Geschwisterreihe von 5 Brüdern und wuchs in einer bäuerlichen und kath. geprägten Familie auf.

Nach seinem Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg (1961 – 1963) wechselt er an die Akademie der Bildenden Künste Wien (1964 – 1968) und absolviert dort seinen Meisterschüler bei Fritz Wotruba. Von 1969 bis 1977 arbeitet Heinz Breloh als Kunsterzieher in Hamburg und Köln.

In den 1970er Jahren finden erste Einzel- und Gruppenausstellungen statt. 1971 ist Heinz Breloh Mitbegründer der Zeitschrift Nummer und des Ausstellungsforums Depot in Köln. 1980 geht er mit einem Stipendium der Stadt Köln für ein Jahr an das P.S.1 in New York. 1982 erhält er ein Stipendium des Landes NRW an der Cité des Arts in Paris.

Nach seinen Auslandsaufenthalten arbeitet Heinz Breloh neben seinem künstlerischen Schaffen als Gastprofessor an der Kunstakademie Düsseldorf (1982 – 1983) und im Jahr 1987 an der École des Beaux-Arts in Nîmes. 1989 wird er Preisträger des Deutschen Künstlerbundes. Es folgen zwei Gastdozenturen an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (1993 – 1994) und an der Kunstakademie Münster (1996 – 1998).

2001 verstirbt Heinz Breloh in Köln

Heinz Breloh war ein international bekannter Künstler. Im Jahr 1977 nimmt er an der Documenta 6 teil. Brelohs Werk ist in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen sowie im öffentlichen Raum vertreten. Nach seinem Tod fand eine umfassende Wanderausstellung “Skulptur als Körperspur“  im Kunstmuseum Bayreuth, im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg, in der Herbert-Gerisch-Stiftung Neumünster, im Wilhelm-Fabry-Museum Hilden und im Kunstverein Hasselbach statt.

Im Anschluss an sein Studium der Bildhauerei interessiert sich Breloh zunächst für die Installations- und Aktionskunst, die Performance sowie für Video und Fotografie. Bald kehrt er jedoch zur Plastik zurück und macht fortan die Bildhauerei zu seinem Hauptmedium. Seine Skulpturen bestehen aus Materialien wie Gips, Bronze, Terrakotta und Eisen-Guss. Bei der Entstehung der großen Skulpturen ist insbesondere der Einsatz seines eigenen Körpers relevant. „In einer festgelegten Choreografie umschreitet, umtanzt der Künstler die weiche Gipsmasse. Er wirft sich mit dem ganzen Körper – Beinen, Hüften, Brust, Rücken, Kopf – dagegen, umfängt den Klotz mit den Armen, durchstößt ihn mit Knien und Beinen, fährt mit dem Kopf hin und her und schleift so einen waagerechten oberen Abschluss aus. Er presst, dreht, windet sich nach einem genau bemessenen Programm an, in und gegen den Block, durchpflügt den Gips nach innen, ertastet und umspannt ihn von außen. Er zieht seine Körperbahn, bis das Material hart und widerständig geworden ist. Die fertige Skulptur hält die Körperform als negatives Volumen fest. Sie ist (im klassischen Sinn von Erinnerung) ein Monument der Körperspur.“ (Schneckenburger, in: Heinz Breloh – Skulptur als Körperspur, 2008, Seite 17). Heinz Breloh hat neben seinem umfangreichen skulpturalen Œuvre zahlreiche Zeichnungen geschaffen, die teilweise bis zu seinem Tod unentdeckt geblieben sind.

Heinz Breloh über seine Arbeit

„Meine Arbeit geht intensiv der Frage nach, wie heute figurative Skulptur
entstehen kann. In einem dialogischen Prozess zwischen der realen und der gedachten Bewegung  meines Körpers und den Vorstellungen von dem Körper als Plastik entstehen dreidimensionale Reflektionen derbildnerischen Existenz.“
Heinz Breloh, 1997

„Es ergab sich von alleine, dass die Plastiken aus meiner Bewegung heraus entstehen müssen. (….) Zunächst blieben die Bewegungen simpel und elementar: Greifen und etwas sehr einfaches machen.“
Heinz Breloh, 1997

„Die Arbeit ist getan, wenn zwischen Körper und Plastik keine Distanz mehr besteht“
Heinz Breloh, 1999